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Ein Beitrag zur Tagung der Evangelischen Akademie Nordelbien zum Thema “Kampfsport und Überlebens- Einleitung Ich bedanke mich herzlich bei Ihnen
für die Einladung zu dieser Tagung und darf Ihnen die herzlichsten Grüße des Präsidiums des Deutschen Judo-Bundes überbringen. Mit großem Interesse verfolgt der DJB die Diskussionen über Kampfsportarten, deren Risiken und deren
pädagogische Chancen, die in der jüngsten Vergangenheit vor allem vor dem Hintergrund möglicher Konzepte der Gewaltprävention geführt wurden und werden. Ich selbst betreibe Judo seit nunmehr 30 Jahren. Als Funktionär habe ich
mich in verschiedenen Positionen im Verein, Landes- und Bundesverband eingebracht. In meiner Eigenschaft als Vizepräsident des DJB bin ich zuständig für den Breitensport des Spitzenverbandes. In dieser Funktion bemühe ich mich,
wichtige, über den aktuellen Wettkampfsport hinausgehende Fragestellungen in regelmäßigen Abständen im DJB zu thematisieren. Es hat sich herausgestellt, dass auch innerhalb der Judogemeinschaft nach Jahren einer schleichenden
Reduzierung von Judo auf das Phänomen Wettkampf nunmehr die Zeit gekommen zu sein scheint, sich auf Seiten von Übungsleitern und Funktionären einer neuen Positionsbestimmung zu stellen. Judo wird zunehmend in seiner
Mehrperspektivität erschlossen. So ging und geht es in den Seminaren um Themen wie Gewaltprävention durch Judo, Judo als Schulsport oder Judo als Mittel der Therapie und zum Ausgleich motorischer Defizite. Da ich in meiner
Eigenschaft als Vizepräsident eines Kampfsportverbandes gebeten wurde zum Thema “Kinder auf- und ausrüsten” zu sprechen, beziehe ich den Titel natürlich auf Kampfsport und die Verantwortung der entsprechenden Verbände. Mit dem
Titel ist ein Teil der latent vorhandenen erzieherische Mehrdeutigkeit des Bewegungssystems Kampfsport ausgedrückt. Mit dem Kampfsport verbindet man zum einen das Sich-wehrhaft-machen mittels zumeist asiatischer Kampftechniken,
zugleich die vielfach geäußerte Vermutung, das Erlernen solcher Techniken fördere das Aggressionspotenzial: Was man erlernt hat, wird man irgendwann einmal auch einsetzen wollen. Zum anderen klären uns aber Familienberater,
Kinderärzte und –psychologen über den therapeutischen und sozial-integrativen Charakter von Kampfsportarten auf und sprechen Empfehlungen für “Kampfzonen” schon im Kindergarten und in der Grundschule aus (ROGGE, 1998 und 1999),
weisen dem Kämpfen einen wesentlichen Stellenwert in der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen zu, machen damit Kampfsportarten quasi salonfähig. Gestatten Sie mir eine Vorbemerkung: Ich tue mich schwer sowohl mit dem Begriff
“aufrüsten” wie auch mit dem Begriff “ausrüsten”. Während wir bei “aufrüsten” an Begriffe wie “Rüstungsspirale”, “Rüstungskontrolle” usw. denken, wird indirekt die Gefahr des Missbrauchs von Kampftechniken in der Hand von Kindern
und Jugendlichen unnötig hoch eingeschätzt. Andererseits verkürzt der Begriff “ausrüsten” den erzieherischen Prozess, der durch Kampfsportarten eingeleitet werden kann erheblich. Ausrüsten kann aber keinesfalls bedeuten, ausbilden
und dann allein lassen mit den erlernten Techniken und gemachten Erfahrungen. Kampfsport im Zwielicht – Kampfsportklischees und einige Richtigstellungen Zunächst möchte ich auf einen wesentlichen Punkt eingehen. Es ist nicht möglich, von dem
Kampfsport sprechen. Kampfsportarten unterscheiden sich z.B. durch
Wenn ich von Kampfsport spreche, dann vor allem von den Budo-Disziplinen, d.h. von solchen, die im japanischen Kulturkreis ihre Abstammung haben und sich aus den Kampftechniken der ehemaligen japanischen Ritter, den Samurai,
entwickelt haben. Auch dort gibt es die unterschiedlichsten Kampfkünste. Nicht nur dass sich in diesen unterschiedliche Menschentypen wiederfinden – wie die Folie veranschaulichen möchte. Auch Ausübung, Organisationsformen und
mögliche Erfahrungen sind unterschiedlich. Aus dem jeweiligen Blick auf diese oder jene Kampfsportart wird sicherlich auch die des Thema “Kinder auf- und ausrüsten” unterschiedlich ausfallen. Wesentliche Teile meines Referates
beziehe ich verständlicher Weise auf Judo. Judo stellt unter den Kampfsportarten die weltweit größte der olympischen Kampfsportarten dar. Fakt ist: Kampfsport steht (noch immer) im Zwielicht.
Jahrelang galt das Ausüben von Kampfsportarten, auch solchen, die längst Einzug in das olympische Programm hielten, wie Boxen, Fechten, Ringen oder Judo, als suspekt. Kaum eine Kampfsportart fand Eingang in die Curricula der Schulen, zumindest nicht gleichberechtigt neben den Klassikern Fußball, Volleyball, Schwimmen oder Leichtathletik, um nur einige zu nennen. Erst in jüngster Zeit setzt ein Umdenken ein, und die Diskussion um die Lehrpläne im Fach Sport in einigen Bundesländern geben Anlass zur Hoffnung. Die Erkenntnis setzt sich durch, das ein Lernfeld “Ringen und Raufen – sich kämpferisch auseinandersetzen”, wie es u.a. in Nordrhein-Westfalen und anderen Bundesländern formuliert ist, ein wesentliches Element von Erziehung darstellt und Kindern und Jugendlichen bei ihrer Entwicklung zu einem reifen Menschen hilfreich sein kann. Ein Umdenken ist auch in der außerschulischen Jugendarbeit seit längerem sichtbar. Kämpfen ist kein Tabu-Thema mehr. So beschäftigt sich u.a. die diesjährige Vollversammlung der Sportjugend Schleswig-Holstein mit dem Thema Kämpfen als Chance einer neuen Streitkultur unter Kindern und Jugendlichen.
Eine wesentliche Ursache für die von Vorbehalten geprägte Einstellung zu Kampfsportarten sehe ich u.a. in den durch einschlägig bekannte Filme (z.B. Bruce Lee ...), Literatur (z.B. “Musashi”) und Medienberichte (z.B. über den
inszenierten Catchsport oder auch Boxsport) vermittelten Klischees. In diesen kämpft das Gute gegen das Böse. Mittels noch härterem Training und sogenannter “spiritueller” Hingabe gelingt es, das Böse zu besiegen. Solche
Machwerke bedienen die Größenfantasien von Jugendlichen, ihr Wunsch nach Kraft und Macht, ihr Bedürfnis nach Omnipotenz, welches besonders bei Jugendlichen mit Verhaltensauffälligkeiten festzustellen ist (MARQUARDT, 2/1999). Die
Gefahr des Missbrauchs solcher Kampfsporttechniken in der Hand von gewaltbereiten Kindern und Jugendlichen ist nicht von der Hand zu weisen. Die Chance, die in einer tiefergehenden und ernsthaften Beschäftigung mit Kampfsport
steckt, nämlich mit diesen Selbstanteilen konfrontiert zu werden, ohne dass es einer destruktiv-aggressiven Entladung bedarf, werden durch die Vorurteile verdeckt. Lassen Sie mich deshalb gleich zu Beginn noch einmal mit
einigen Vorurteilen gegenüber Kampfsportarten aufräumen:
Eine weitere Ursache für solche Vorbehalte gegenüber Kampfsportarten liegt vielleicht auch, wie Familienberater Jan-Uwe ROGGE meint, darin, dass man annimmt, dass jede harmlose Rauferei in die Gewaltbereitschaft, in die
Zerstörungswut hineinführe (in Judo-Magazin 7-8/1999). Dabei wird übersehen, “dass Aggressionen
zunächst etwas Neutrales und Überlebensnotwendiges sind. Man muss sie nur, gestaltet in Ritualen und an Regeln gebunden, ausleben.”(a.a.O.). Hier werden zwei zentrale Themen von Kampfsportarten in der Vereinspraxis von ROGGE angesprochen: das von “Grenzen und Grenzsetzungen” und das Erlernen von Konfliktfähigkeit. Damit meine ich zum einen, dass im tätigen Umgang im Kampfsport Regeln des Miteinanders
und Gegeneinanders erlernt und entwickelt werden, zum anderen, dass Kinder und Jugendliche geeignete Strategien erlernen, um sich in Konflikten körperlich angemessen
behaupten zu können, ohne verletzen zu müssen, oder ggf. ganz auf körperliche Auseinandersetzung verzichten zu können, solche zu meiden und Konflikte verbal austragen zu können. Dazu gehört auch die Erfahrung, dass man mit Anstand als Verlierer aus einer Auseinandersetzung wie auch aus einer Diskussion hervorgehen kann oder auch, dass es der Respekt vor dem Einsatz bzw. der Leistung des Kontrahenden verbietet, ihn zu verunglimpfen und herab zu würdigen. Ganz anders das Filmklischee, wo hemmungslos für eine vermeintlich gerechte Sache geprügelt und teilweise gemordet wird. Ich komme darauf noch einmal später zu sprechen.
Viele Eltern verbinden mit dem Besuch ihres Kindes z.B. beim Judokurs sehr wohl die Erwartung, dass “der Kleine” sich besser zur Wehr setzen kann. “Wehr dich
doch!”, ist die häufige Antwort, wenn Kindergartenkinder sich bei der Mutter beschweren, wenn ihnen ein anders Kind das Spielzeug weggenommen hat. Das kann doch auch der Schüchterne im Karate- oder Judoverein so gut lernen – oder?
Wenn es dann aber wirklich zu einer Rauferei zwischen zwei Kleinen kommt, werden allerdings beide sofort auseinander gebracht und das ganze “besprochen”.
Wo sollen Kinder also so etwas wie Sich-durchsetzen lernen, wenn jegliche Art von körperlicher Aggression sogar schon im Kindergartenalter, wo keine anderen
Konfliktlösungsstrategien zur Verfügung stehen, unterbunden, ja tabuisiert wird? Im Kampfsportverein dürfen sie, wie gesagt, “gestaltet in Ritualen und an Regeln
gebunden”, zu ihren Aggressionen stehen, vielleicht auch erst entdecken, aber gleichzeitig beherrschen lernen. Eine Erwartungshaltung in Sachen Aufrüstung ist bei vielen Erwachsenen, die ihre
Kinder zum Kampfsport schicken, vorhanden. Bei Selbstverteidigungskursen für Mädchen und Frauen geht bei den Teilnehmerinnen diese Erwartungshaltung schnell noch darüber hinaus. Es geht um die Ausrüstung mit Körpertechniken zur
Abwehr von Angriffen. Der Schritt, dann auch die Fähigkeit besitzen zu wollen, eigene Angriffe zu starten und damit ein persönliches Bedrohungspotenzial darzustellen, ist nur ein kleiner.
Die Gefahr des Missbrauchs solcher Schlag-, Tritt- oder Wurftechniken insbesondere in der Hand von gewaltbereiten Jugendlichen ist nicht zu leugnen.
Ebenso ist die Gefahr, dass durch Kampfsport Kinder und Jugendliche sich selbst aufrüsten oder aufgerüstet werden sollen nicht von der Hand zu weisen. Diese ist immer dann gegeben, wenn Eltern, Trainer oder die Jugendlichen selber
Kampfsport instrumentalisieren, d.h. ihm einem entsprechenden “inhumanen” Sinn zuschreiben. Ein Beispiel: Viele meinen, unsere Ellenbogengesellschaft brauche Durchsetzungskraft und Durchsetzungswillen.
Im Kampfsport wird dann vielleicht das geeignete Mittel gesehen, Kindern dies beizubringen. Jetzt besteht die Gefahr der Aufrüstung durch und des Missbrauchs von Kampfsport. Ein anderes
Beispiel: Natürlich kann ich Kampfsport betreiben, um mich anschließend besser wehren zu können (das nutzen Berufsgruppen wie Türsteher oder Sicherheitsbeamte) oder aber auch um mich besser prügeln zu können (das nutzen
Rechte oder andere gewaltbereite Jugendliche). In beiden Fällen wird jedoch das Erlernen der Kampfsporttechnik ausschließlich unter einem technischen Aspekt
gesehen. Kampfsport wird instrumentalisiert für einen beruflichen, gesellschaftlich akzeptierten, im zweiten Fall für einen dubiosen Gesinnungs-Zweck. Es gibt in der
Kampfsport-Szene solche Anbieter bei denen das Training vor allem in der Technikvermittlung und “Abhärtung” besteht. Hier besteht die Gefahr der Fehlleitung, die Gefahr, dass bewusst Teilnehmer angeworben werden, die das
Kampfsportklischee suchen oder auch bewusst Feindbilder ausgebildet werden wie in der rechten Szene. Die Dunkelziffer der “schwarzen Schafe” ist bei Distanzkampfsportarten größer als bei solchen mit Körperkontakt.
Aber die beschriebene Gefahr einer möglichen Aufrüstung durch Kampfsport oder gar der Heranzüchtung kleiner “Kampfmaschinen” ist bei weitem nicht in dem Maße
vorhanden wie von Skeptikern befürchtet und die Vorteile der Beschäftigung mit Kampfsport überwiegen, wie ich im folgenden Abschnitt zu zeigen versuche. Aber dennoch:
Was für den Sport im allgemeinen gilt, trifft auf den Kampfsport im besonderen zu: “Sport ist nicht per se präventiv und erziehend.”, stellte PILZ 1998 fest (39) und ich möchte ergänzen, Kampfsport rüstet Kinder und
Jugendliche auch nicht per se mit vielen guten Eigenschaften aus. Ebenso wenig macht nicht Sport und auch nicht Kampfsport Kinder per se stark, auch wenn
der Slogan des DSB (“Kinder stark machen”) dies vermuten lassen könnte. Denn dies alles kann nur unter reflektierter fachlicher und pädagogischer Anleitung
gelingen. Insofern macht es Sinn einige Prüfsteine für ein ausrüstendes und nicht aufrüstendes Kampfsportangebot für Kinder und Jugendliche vorzustellen.
Wie ich versuchte an den Beispielen zu verdeutlichen führt nicht der Kampfsport selbst zur Aufrüstung, sondern das Umfeld in dem Kampfsport angeboten wird. Deshalb möchte ich als Fazit dieses Abschnittes:
Soziale und pädagogische Erfahrungsmöglichkeiten im Kampfsport-Unterricht am Beispiel Ju-Do
Vorbemerkungen Solche von mir skizzierten aufrüstende Angebote blenden bewusst bestimmte Erfahrungsmöglichkeiten im Kampfsport aus. Sigrid Happ ist in ihrem Beitrag ausführlich auf die pädagogischen Erfahrungsmöglichkeiten durch Kampfsport eingegangen, so dass ich mich hier auf wesentliche Punkte beschränken kann.
Judo ist eine Zweikampfsportart mit relativ engem Körperkontakt. Die beiden Antagonisten tragen einen Judoanzug aus reißfestem Baumwollstoff. Ziel bei der Auseinandersetzung ist es,
Judo geht aber auch über den Zweikampfsport hinaus. Ursprünglich war Judo von seinem Begründer Jigoro KANO (1860 – 1938) als ein Selbstverteidigungssystem gedacht. Nur um ein sportliches Gegeneinander zu
ermöglichen wurden Schlag- und Tritttechniken aus dem Wettkampf herausgenommen. Um diese, im regelgeleiteten Gegeneinander und in der Kombination mit Wurf- und Grifftechniken verletzungsträchtigen Techniken ebenfalls
üben zu können, etablierten sich in den japanischen Kampfsportarten, also auch im Judo, festgelegte Bewegungsformen, sogenannte Katas. Übungsgrundlage jedoch
ist das Randori, d.h. das freie Üben mit bestimmten Aufgabenstellungen, in denen man Situationsverständnis schult und Techniken erprobt. Soziale und pädagogische Erfahrungspotenziale des Kampfsports vorgestellt am Beispiel Ju-Do Beim Judoüben können und sollen wesentliche andere Erfahrungen als das
Erlernen und Anwenden von Fertigkeiten/Techniken gemacht werden. Diese kommen meines Wissens in keiner Prüfungsordnung und keinem Lehrbuch über Judo ausführlich zur Sprache. Sie machen aber gerade den Kern dessen aus,
womit wir im Judo Kinder und Jugendliche ausrüsten können, was wir ihnen mit auf ihren Lebensweg (“Do”) geben können. Kampfsportvereine und –verbände werben oftmals mit ihren Erfolgen; wichtiger wäre es m.E. auf diese
Erfahrungsmöglichkeiten hinzuweisen. Ich möchte im folgenden einige nennen: Einige der genannten sozialen und pädagogischen Erfahrungsmöglichkeiten im Ju-Do werden realisiert, ohne dass es der bewussten gelenkten Initiierung eines Judolehrers bedarf. Dennoch muss die pädagogische Arbeit in einem
Kampfsportverein m.E. genauso wichtig erachtet werden wie die Technikvermittlung und fachmethodisch optimiertes Lernen. Dies kann nur in einer Art Selbstverpflichtung des Vereins und seiner Übungsleiter/innen zu den von mir
vorgestellten pädagogischen Leitlinien KANOs geschehen. Kampfsportarten als ein Erziehungs- und Wertesysteme (am Beispiel von Ju-Do) Asiatischen Kampfkunst-Meister wie KANO (Begründer des Ju-Do), FUNAKOSHI (Begründer des Shotokan-Karate-Do) oder UESHIBA (Begründer des Aiki-Do)
haben die sozialen und pädagogischen Einwirkungsmöglichkeiten mittels Kampfsportarten gesehen und bewusst weiter entwickelt. Leider ist jedoch diese sogenannte Bu-Do-Philosophie vielfach zum Zitat verkommen. Deshalb ist eine
Rückbesinnung auf den pädagogischen Gehalt, die pädagogischen Kerngedanken, ohne den fremden Mystizismus oder fernöstliche Philosophie heute unter der aktuellen Diskussion um Kampfsport z.B. im Schulsport sinnvoll und notwendig. Sport ist einerseits immer Spiegelbild der Gesellschaft. Sport ist heute Spiegelbild unserer Leistungsgesellschaft. Dem Sport wohnt andererseits aber immer zugleich auch die Kraft zu einem gesellschaftlichen
Gegenentwurf inne, einer Utopie, die vielleicht im Kleinen realisiert werden kann. KANOs pädagogische Leitlinien könnten eine Gegenvision zur heute herrschenden
Meinung von Leistung als Erfolg und von Gegeneinander als Konkurrenz darstellen:
Zentral ist KANOs Prinzip vom beiderseitigen Nutzen aus dem Übungsprozess, der Chance, dass beide Übungspartner im Übungsprozess miteinander lernen, ihr Können entwickeln und auch
zusammen an der Sache und zwar in Auseinandersetzung mit diesem Partner wachsen. Schon im Training sollte das “Miteinander im Gegeneinander” oberster Grundsatz sein. Dieses
Prinzip, so die Hoffnung, kann dann auch Leitlinie für den täglichen Umgang mit anderen Menschen sein (vgl. PÖHLER, 1994, S.15/16). Ju-Do in diesem Sinne hat einen hohen Integrationswert. Jeder kann sich mit
seinem Können und seinen Fähigkeiten in das Training einbringen. So ist es nicht nur im Ju-Do, sondern auch in anderen Budodisziplinen im allgemeinen selbstverständlich, wenn von der Sache her ältere Schüler den jüngeren helfen und
sie unterstützen. Keine Leistung wird geschmälert, sondern vor dem Hintergrund der eigenen Leistungsfähigkeit gewürdigt.
Zur Verantwortung von Judo-Verbänden und –vereinen Vorbemerkung
Ich halte noch einmal fest, dass für mich die Ausübung eines Kampfsports durch Kindern und Jugendlichen nicht “platt” mit “Aufrüstung” gleich zu setzten ist. Die
vielfältigen, von mir nur zum Teil beschriebenen sozialen und pädagogischen Erfahrungen, die sie im Übungsprozess machen können, werden Kinder und Jugendliche im Gegenteil ausrüsten
für ein menschlicheres Miteinander, das von Verstehen und nicht von Abwertung des Anderen geprägt ist, einsetzen können. Dass dies gelingt liegt in der Verantwortung der erwachsenen Übungsleiter und
Funktionäre des jeweiligen Kampfsports. Fasst man Kampfsport als ein Erziehungs- und Wertesystem im Sinne des Judobegründers Jigoro Kanos auf, so bedarf es der Selbstverpflichtung von
Vereinen und Verbänden zu einer solchen pädagogischen Grundhaltung und einer Sicherung einer solchen Grundhaltung in ihren Reihen. Dies fordert die
Durchleuchtung angestammter versportlichter Strukturen in Lehre, Ausbildung und Wettkampf, ggf. die Bereitschaft zu einschneidenden Veränderungen zugunsten von
mehr “Beziehungsarbeit”/”Erziehungsarbeit”. Die Diskussion in Reihen des DJB darüber, wieweit die ÜbungsleiterInnen und Vereine dazu bereit sind, hat gerade erst begonnen.
Was können Kampfsportvereine und Verbände tun, um eine pädagogische Grundhaltung zu sichern, damit Kinder dort nicht mit Kampftechniken aufrüstet, sondern mit Beziehungsfähigkeit ausrüstet? Zusammenleben im Dojo Die Umsetzung eines solchen pädagogischen Erziehungs- und Wertesystems
beginnt vor Ort in der Judogruppe und sicherlich nicht mit vollmundigen Kampagnen von Landes- oder Spitzenfachverbänden. Das sogenannte “Dojo” ist traditioneller Weise der Ort, an dem Judosport betrieben
und Ju-Do im Sinne KANOs zur Entfaltung kommt. “Dojo” ist deshalb m.E. auch mehr als eine Turnhalle, selbst wenn Judo in einer solchen geübt wird. “Dojo” in einem ideellen Sinne ist ein pädagogischer Raum
. Eindeutige Grenzsetzungen und Verhaltensregeln geben in diesem Raum Sicherheit beim Üben für alle, Sicherheit vor körperlicher Schädigung wie auch vor Herabwürdigungen. Mehrere
Faktoren bestimmen m.E. einen solchen Übungsrahmen im Sinne des Ju-Do:
Lehren und Ausbildung Wie in anderen Sportverbänden auch gibt es auch im Judoverband ein kaum zu
lösendes Problem: Es gibt zu wenige ehrenamtliche Übungsleiter/innen. Die Folge ist, dass jeder, der einige Zeit Judo betreibt, vor allem aber fast jeder, der als
Erwachsener Judo betreibt, irgendwann einmal mit der Frage konfrontiert wird, ob er/sie sich als ÜL zur Verfügung stellen würde. Der Verein sieht im zukünftigen Übungsleiter meistens nur den Stundenanleiter. Aus
der Not heraus wird aber die wesentliche Frage an den zukünftigen ÜL nicht gestellt: Ob er/sie sich vorstellen kann und die Bereitschaft vorhanden ist, sich der
Beziehungsarbeit, die Ju-Do-Unterrichten darstellt, zu öffnen. Dazu gehört vor allem auch Themen und Trainingssituationen aufzugreifen und nicht nur Techniken
fachmethodisch korrekt zu vermitteln. Dies ist teilweise auch von weniger fachkompetenten Judoka hervorragend zu leisten, wenn ihnen technisch erfahrenere
fachlich assistieren. Der DJB und andere Kampfsportverbände tun also gut daran, angestammte Ausbildungsstrukturen in Hinblick auf die Förderung und Reflexion
pädagogischen Handelns hin zu überprüfen und zu verändern, stellte doch die Ausbildung von Übungsleitern und Trainern bisher überwiegend auf den fachmethodischen Teil ab. Der DJB hat hier bereits mit der inhaltlichen
Neugestaltung seiner Fortbildungsangebote begonnen. Kampfsportlehrer sind für Kinder und Jugendliche oftmals echte Idole. Ihr Wort und ihr Handeln sind größeres Vorbild als das von Eltern oder anderen Lehrern.
Gleichzeitig werden natürlich auch die negativen Seiten solcher Idole übernommen. Kinder und Jugendliche stellen sich natürlich die Frage, wie der Kampfsportlehrer,
der das kann, was man selbst einmal können möchte (und das zeigen kann, was man im Film gesehen hat), sein Können einsetzt. Insofern kann es dem Kampfsportlehrer nicht gleichgültig sein, was mit dem von ihm vermittelten Wissen
anschließend geschieht. Kampfsportlehrer sind Projektionsfläche für die Allmachtsvorstellungen von Jugendlichen. MARQUARDT führt deshalb aus: “ Es geht zumindest in den asiatischen Kampfkünsten nicht nur um Technik und
Körperbeherrschung, sondern Reifung und psychisches Wachstum sind ebenso Teil des Systems. Daher kommt dem Meister hier die Aufgabe zu, seine Schüler auch auf diesen Ebenen unterstützten zu wollen und zu können.” MARQUARDT spricht
hier indirekt die Verantwortung in der Ausbildung von Kampfsport-Meistern (Danträgern) und Trainern im Kampfsport an. Kampfsport ist Beziehungsarbeit und im Kampfsport Unterrichtende sollten diese ein Stück weit leisten können. Die
Ausbildung von Danträgern, die ebenfalls in den Händen des DJB bzw. anderer Kampfsport-Verbände liegt, bedarf also gleichfalls einer kritischen Durchleuchtung. Wettkämpfen Wettkampfsport ist heute Erfolgssport geworden. Es geht nicht mehr um den Vergleich, wer besser ist, sondern wer nachher auf dem Treppchen steht. Denn
danach werden im Spitzensport die Gelder verteilt, - nur danach. Orientierung im Sport auf diesen Erfolgssport ist verbunden mit Selektion. Die “Sportflaschen”
werden ausgesondert. Dieses Selektionsprinzip setzt schon früh im Kindesalter ein und erfasst alle Niveaustufen, auch die Kreisebene, auch das Denken in Vereinen.
Aber gibt es die “Sportflasche” überhaupt? Gerade in den Kampfsportarten erfahren wir, dass mit Fleiß und Ausdauer auch motorisch ungeschickte Kinder mit der notwendigen Zuwendung beachtliche Leistungen vollbringen können. Leistung
sollte also am einzelnen Menschen gemessen werden. Im Judosport setzt sich allmählich die Einsicht durch, dass eine eindimensionale Trainings- und Organisationsausrichtung auf den Wettkampfsport nicht weiterführt.
Es ist an der Zeit den Erfolgs- und Wettkampfsport zu relativieren (nicht zu verdammen!). Vor allem die Wettkampforientierung und die Betonung von Leistung als Selektion
und Konkurrenz, so stellen mehrere Autoren übereinstimmend fest (u.a. PILZ), fördern Gewalt im Sport. Dies gilt uneingeschränkt auch für den Judosport.
Innerhalb des DJB sind deshalb zwei Projekte in Vorbereitung, Wettkampfsport im Kindes- und Jugendalter aus Sicht von Pädagogen zu durchleuchten und Alternativen zu schaffen:
Literatur
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